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Agnes Miegel wurde am 9. März 1879 in Königsberg geboren. Sie blieb das einzige Kind ihrer Eltern, eines niederdeutschen Kaufmannes und seiner um zwanzig Jahre jüngeren Frau, deren Vorfahren zu den Salzburger Glaubensflüchtlingen gehörten, die 1732 von dem Soldatenkönig nach Ostpreußen gerufen wurden, das von der Pest entvölkerte Land wieder unter den Pflug nahmen und es sich zur Heimat eroberten. Agnes wächst in einem großen Kreis von Verwandten und Freunden auf. Der Vater führt die kleine Tochter durch die Stadt Königsberg, die ihr bestes, unerschöpfliches Bilderbuch wird, und teilt sein umfangreiches historisches Wissen mit, die Mutter aber bringt ihr Volkslieder und Gedichte nahe. Als sie fünfzehnjährig für zwei Jahre eine Weimarer Pension besucht, schreibt sie erste Gedichte in ihr Tagebuch, das sie später verbrennt. Aber neue Gedichte entstehen, und 1896 erhält sie ihr erstes Honorar für die naturmagische Ballade "Elfkönig". Früh schon findet Agnes Miegel zu ihrem ganz eigenen Ton, ihrer eigenen Sprache, Gedankenwelt und Art der Gestaltung. Als um die Jahrhundertwende in Berlin Börries von Münchhausen ihre handschriftlichen Gedichte und Balladen liest, erkennt er sogleich: "Dies ist eine der ganz großen Dichterinnen unseres Volkes. Agnes Miegel ist der größte lebende Balladendichter unseres Volkes." So erscheint durch Münchhausens Vermittlung 1901 ihr erstes eigenes Buch, ein Band mit Gedichten und Balladen, bei dem ehrwürdigen Klassiker-Verlag Cotta.
Einer Schwesternausbildung in Berlin folgt eine Ausbildung als Lehrerin, die sie aus gesundheitlichen Gründen abbrechen muss. Auch die landwirtschaftliche Maidenschule bei München verlässt sie vorzeitig, als die kranken Eltern sie nach Königsberg zurückrufen. Jahrelang pflegt sie den erblindenden Vater bis zu seinem Tod, dann steht sie vierzigjährig allein und findet schließlich bei der Zeitung einen Broterwerb. Durch die Berichte und Betrachtungen, die sie für das Feuilleton schreibt, findet sie auch als Dichterin zur Prosa und veröffentlicht große historische Erzählungen, deren Stoffe sie aus verschiedenen Epochen der ostpreußischen Geschichte wählt, bis in späteren Erzählbänden ihre Themen schließlich die halbe Welt umspannen.
Bald schon wird sie in ihrer ostpreußischen Heimat und in ganz Deutschland so bekannt, dass sie zahllose Lesereisen unternehmen muss und bedeutende literarische Preise erhält, nach dem Schillerpreis, dem Kleistpreis, dem Herderpreis und der Ehrendoktorwürde der Königsberger Universität schließlich den Goethepreis der Stadt Frankfurt.
Die Berühmtheit der Dichterin und ihre Themen kommen den neuen Machthabern 1933 sehr gelegen. 1933 wird Agnes Miegel in die Sektion Dichtkunst der Preußischen Akademie der Künste aufgenommen, eine Anerkennung und eine Ehre, die ihr für viele Jahre zum Verhängnis werden soll. Die Nationalsozialisten können sie gebrauchen, glauben sie doch in ihrer ostpreußischen und altpreußischen Thematik etwas von „Blut und Boden“ zu erkennen. Doch Rassismus oder gar Antisemitismus gibt es bei ihr ebenso wenig wie Maximen von Gewalt, Hass, Unrecht oder Intoleranz. In ihren Werken findet sich vor allem eine deutliche Sprache der Menschlichkeit, Toleranz, Versöhnung und Verständigung auch über Grenzen hinweg als höchstes Lebensgesetz. Agnes Miegels dichterisches Werk in diesen Jahren wird bestimmt durch eine große Vielfalt in Stoff und Formen.
Agnes Miegel war nie ein politisch denkender Mensch und durchschaute nicht, wie das NS-Regime sie für seine Ziele und Zwecke instrumentalisiert. Noch weniger erkannte sie, worum es dem NS-Regime tatsächlich ging. So erlag sie, wie unzählige andere, dem Bann Adolf Hitlers und seiner Propaganda und trat der NSDAP bei – zumal Hitler sich in dem seit dem Versailler Vertrag vom übrigen Reich abgetrennten Ostpreußen als ein Retter darstellte. Agnes Miegel liebte ihre Heimat, aber ihr grenzdeutscher Patriotismus darf auch heute nicht mit einem Bekenntnis zur nationalsozialistischen Ideologie verwechselt werden. Die Gedichte, die sie an Hitler richtete und in dem Pathos der Zeit schrieb, sind vor allem emotional, nicht politisch zu verstehen.
Nach dem Zusammenbruch der Hitler-Ära hört sie entsetzt von dem unvorstellbaren Unrecht, Gewalttaten, Konzentrationslagern, und leidet schwer unter ihrem großen Irrtum. Sie leugnet nicht, dass sie an Hitler geglaubt hat, im Gegensatz zu vielen anderen, die nach dem Krieg lautstark verkünden, sie wären schon immer gegen Hitler gewesen. Mit Gott allein wollte die gläubige, tiefreligiöse Christin dies ausmachen. Es ist nicht nachzuweisen, dass sie einem Menschen geschadet hätte. Ihr Entnazifizierungsurteil lautet schließlich ausdrücklich „unbelastet“. Wörtlich heißt es, „sowohl Motive wie Handlungen haben niemals NS-Geist verraten.“
Träume und Visionen der Dichterin mit dem "Zweiten Gesicht" werden bittere Wirklichkeit, als im Februar 1945 auch sie die zerstörte Vaterstadt Königsberg verlassen muss und mit einem der letzten Flüchtlingsschiffe über die Ostsee nach Dänemark kommt. Dort bleibt sie eineinhalb Jahre in einem der riesigen Lager geborgen und eingesperrt, verbringt ein hartes Nachkriegsjahr bei der befreundeten Familie von Münchhausen in ihrem von Flüchtlingen überfüllten Wasserschloss Apelern und findet schließlich im niedersächsischen Bad Nenndorf eine bescheidene Altersheimat, wo ihr noch eineinhalb Jahrzehnte fruchtbarer Schaffenszeit und guter Gemeinschaft mit ihrer getreuen Adoptivtochter Elise (die ihr seit 1918 den Haushalt führte) vergönnt sind.
Von ihren Landsleuten und Schicksalsgefährten zärtlich "Mutter Ostpreußen" genannt, reichen die Themen ihrer Erzählungen und Märchen doch bis in alle Welt. Sie gestaltet und erlebt noch die Herausgabe ihrer Gesammelten Werke in sechs Bänden (ein siebter Band folgt kurz nach ihrem Tode), empfängt noch einmal bedeutende Literaturpreise wie den von der Bayerischen Akademie der Schönen Künste und hinterlässt mit ihren persönlichen Aufzeichnungen auch eine Reihe von Gedichten, die ihre Altersweisheit und lebensbejahende Art beleuchten und zu den schönsten Altersgedichten der deutschen Literatur gehören. Am 26. Oktober 1964 schließt sie ihre Augen für immer und wird als Ehrenbürgerin der Gemeinde Bad Nenndorf auf dem dortigen Bergfriedhof bestattet.
Lebensdaten
1879 |
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9. März, geboren in Königsberg/Pr. als Tochter des Kaufmanns Gustav Adolf Miegel und seiner Frau Helene, geb. Hofer |
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1894 |
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zwei Pensionsjahre in Weimar. Erste Gedichte |
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1898 |
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drei Monate in Paris |
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1900 |
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Ausbildung in einem Nordberliner Kinderkrankenhaus |
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1901 |
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erstes Buch: "Gedichte" |
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19021904 |
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Erzieherin an einem Internat in Südengland |
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1904 |
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nach Berlin zur Ausbildung als Lehrerin |
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1905 |
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in der Maidenschule Geiselgasteig |
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1906 |
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wieder in Königsberg zur Pflege der Eltern |
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1907 |
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zweites Buch: "Balladen und Lieder" im Eugen Diederichs Verlag, Jena |
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1916 |
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Kleist-Preis |
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1917 |
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1917 Tod des Vaters |
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1920 |
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Tätigkeit in der Redaktion "Ostpreußische Zeitung" |
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1924 |
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Ehrendoktor der Königsberger Albertus-Universität am 200. Geburtstag von Immanuel Kant |
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1929 |
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Zu ihrem 50. Geburtstag Ehrensold ihrer Vaterstadt und freies Wohnrecht auf Lebenszeit |
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1933 |
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Aufnahme in die Sektion Dichtung der Preußischen Akademie der Künste |
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1936 |
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Herder-Preis der Johann-Wolfgang-Goethe Stiftung |
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1939 |
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Ehrenbürgerbrief der Stadt Königsberg/Pr. |
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1940 |
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Goethe-Preis der Stadt Frankfurt/Main |
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1945 |
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Ende Februar Flucht über die Ostsee nach Dänemark |
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1946 |
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Aufnahme in Apelern bei der Familie von Münchhausen |
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1948 |
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Umzug nach Bad Nenndorf |
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1949 |
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Entnazifizierungsurteil „unbelastet" |
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1952 |
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Westfälischer Kulturpreis |
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1954 |
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Ehrenbürgerin der Gemeinde Bad Nenndorf |
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1957 |
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Ehrenplakette des Ostdeutschen Kulturrates |
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1958 |
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Preußenschild der Landsmannschaft Ostpreußen |
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1959 |
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Literaturpreis der Bayerischen Akademie der Schönen Künste
Stiftung der Agnes-Miegel-Plakette des Tatenhauser Kreises in Warendorf/Westf. |
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1962 |
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Kulturpreis der Landsmannschaft Westpreußen |
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1964 |
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26. Oktober, gestorben in Bad Salzuflen |
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